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Wenn Arbeit Sicherheit gibt (Gießener Allgemeine, 10.03.2020)

Gießener Allgemeine, 10.03.2020
von Kays Al-Khanak
Foto: Oliver Schepp

Seit vier Jahren arbeitet Niko Henning bei einem IT-Dienstleister in Gießen. Dass er dort ein wichtiger Teil des Teams ist, ist nicht selbstverständlich. Denn der 33 Jahre alte Mann ist Autist. Sein Weg ist eine Erfolgsgeschichte - mit vielen Beteiligten.

"Niko Henning ist blitzgescheit", sagt sein Chef Guy Simonow vom Gießener IT-Dienstleister Netzlaboranten. Andere beschreiben den 33 Jahre alten Mann als charismatisch und ideenreich. Im Team könne sein Angestellter eine richtige "Granate" sein, ergänzt Simonow. Gleichzeitig sagt Henning: "Bei sozialen Themen ist bei mir ganz schnell die Batterie leer." Auch falle es ihm schwer, Prioritäten einzuordnen. Sein Perfektionismus und die damit einhergehende Selbstkritik mache es ihm nicht einfacher im Alltag. Henning ist Autist. Dass er trotz dieser tiefgreifenden Entwicklungsstörung seit mittlerweile vier Jahren bei dem IT-Dienstleister an der Ostanlage arbeitet, hat viel mit seinem Chef zu tun - und mit den Akteuren, die ihren Beitrag zu dieser erfolgreichen Integration geleistet haben.

FSG Giessen Foto von Oliver ScheppZiel: Teilhabe ermöglichen

Henning hatte sein Informatikstudium an der Technischen Hochschule Mittelhessen abgebrochen und sich beim Jobcenter gemeldet. Von seiner Betreuerin, die ihn zu jener Zeit regelmäßig zu Hause besuchte, erfuhr er von einem Angebot mit dem Namen Unterstützte Beschäftigung (UB). Es ist eine Art Langzeitpraktikum, erklärt Stefan Leyerer, Reha-Abteilungsleiter der Arbeitsagentur, die diese Maßnahme in der Regel zwei Jahre lang fördert. Ziel sei es, Menschen mit Behinderungen eine Teilhabe an der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Träger ist die Bietergemeinschaft des Fördervereins für seelische Gesundheit und der Lebenshilfe. UB-Leiter Martin Schmidt erzählt, Henning sei eigentlich gar nicht die Zielgruppe des Programms. "Das sind eher Menschen, die nicht lesen und schreiben können." Für die meisten der dort unterstützten Teilnehmer wären Langzeitarbeitslosigkeit oder eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung die einzigen Alternativen. Der 33-Jährige hatte jedoch bereits einige Programme durchlaufen - und nicht den richtigen Beruf für sich gefunden.

Es war Zufall, dass ein UB-Betreuer Nachbar des Geschäftsführers der Netzlaboranten ist und ihm Henning empfahl. Für Simonow ist das Thema Autismus nicht neu, arbeitet bei ihm bereits ein Mitarbeiter mit dem Asperger-Syndrom. Nach dem Gespräch mit Henning sei er seinem Bauchgefühl gefolgt und habe ihn im Unternehmen als neunten Mitarbeiter angestellt. Henning sagt: "Ich hätte mich schon dumm anstellen müssen, um nicht genommen zu werden."

Zwei Jahre lang war Henning über die UB in dem Unternehmen beschäftigt. In dieser Zeit arbeitete er vier Tage in der Woche täglich sechs Stunden im Betrieb, an einem Tag ging es zum Gesprächskreis des Projektträgers. Nicht immer lief anfangs alles glatt, erzählt Simonow. Dass sich ein Arbeitnehmer und ein Arbeitgeber erst finden müssen, ist so weit nicht ungewöhnlich. Nur ist besonderes Verständnis und Fingerspitzengefühl des Arbeitgebers und der anderen Mitarbeiter gefragt, wenn der Kollege Autist ist.

Ausdauer als Erfolgsfaktor

Darauf weist auch UB-Leiter Schmidt hin. "Es ist eine tolle Leistung des Unternehmens, weil nicht jeder Arbeitgeber so eine Situation durchgehalten hätte." Der größte Erfolgsfaktor für eine gelungene Integration sei die Ausdauer des Arbeitgebers und des Teilnehmers. Christiane Knipp vom Förderverein für seelische Gesundheit ergänzt: "Herr Simonow hat Herrn Henning geradezu adoptiert. Der Kontakt hört nicht mit dem Feierabend auf." Dieses Verhältnis gebe dem 33 Jahre alten Mann Sicherheit. Selbst wenn er ein Tief habe, wisse er, dass er aufgefangen werde.

In den vier Jahren, in denen Henning bei den Netzlaboranten arbeitet, habe seine Selbstständigkeit stetig zugenommen, sagt Schmidt. Mittlerweile nutze er das betreute Wohnen nicht mehr, erzählt Henning. Er habe einfach keine Zeit mehr dazu, weil er "so viele soziale Termine", Freunde und eine Partnerin habe. Generell fühle er sich sehr gut, sagt der 33-Jährige. So gut, dass er mittlerweile eine "zukunftsorientierte Verzweiflung" empfinde.

Link zum Artikel in der Gießener Allgemeinen

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